Alle Beiträge zur Fallstudie Depot Bilderstau
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DDR-Kunst ist nach 1990 vorwiegend in Depots verschwunden. Die Akteur_innen folgten dabei zum einen westdeutschen Bewertungsmaßstäben, die der DDR-Auftrags- und Staatskunst jeden kunsthistorischen Wert absprachen. Zum anderen eigneten sie sich den Kunstbegriff ostdeutscher Kunstfunktionär_innen an, die experimentelle oder performative Arbeitsweisen, wie jene in der Ausstellung gezeigten kritischen Positionen der letzten DDR-Generation, schon vor 1989 aus dem Kunstkanon ausschlossen. Werke ins Depot geben und verwahren, aus dem Depot holen und als Kunst wieder sichtbar machen und somit den »Bilderstau«, wie ihn die Kunsthistorikerin Marlene Heidel nennt, aufzulösen – das sind die zwei Bewegungen dieser Fallstudie.
Das U144 Untergrundmuseum ist ein von Rainer Görß (*1960, Neustrelitz/Brandenburg) und Ania Rudolph (*1964, Ost-Berlin) gegründetes Künstler_innenmuseum in Berlin-Mitte. Rainer Görß war als ehemaliges Mitglied der Dresdner Autoperforationsartisten einst Teil des dissidenten DDR-Untergrunds. In einer ehemaligen Gießerei in der Linienstraße haben sich Görß und Rudolph seit 1990 dem künstlerischen Recycling von politischer Ideologie und Stadtgeschichte verschrieben – von ihnen selbst als KIK – Kritische Industriekultur – bezeichnet. In der Ausstellungswoche wird Rainer Görß performative Führungen durch die Sammlung anbieten.
Werke baugebundener Kunst im Innen- und Außenbereich erfuhren ebenfalls Zerstörung durch Abriss (sogenannten Rückbau) oder durch Eigentümer_innenwechsel (Privatisierung). Eine mit Keramikelementen gestaltete Grundstücksmauer in der Schillingstraße in Berlin-Mitte, die als baugebundene Kunst in den 1960er Jahren realisiert und Bestandteil eines zu DDR-Zeiten kommunalen, jetzt im Besitz einer privaten Eigentümergemeinschaft befindlichen Wohnblocks wurde, ist heute dem Verfall preisgegeben. Achim Valbrachts(*1971, Rostock) schematisches Vorgehen greift die modulare Struktur und die Bewegungszulässigkeit dieses Werkes in seiner Fotoserie auf. Verstärkt durch den Titel HUMPTY D, der auf einen bekannten englischen Kinderreim verweist, erscheinen die an abstrakte Menschendarstellungen erinnernden, gebrochenen Gestalten der einzelnen Plastiken in einer melancholischen Identifikation als Zeitzeugenporträts. Margret Hoppe (*1981, Greiz/Thüringen) folgt in ihren Fotoserien ebenfalls diesen Umbruchsspuren der Kunst. Die Arbeit Die verschwundenen Bilder (2003–2006) dokumentiert Leerstellen in Räumen, an Wänden oder Fassaden, die entstanden, als nach der kulturellen und politischen Wende 1989 Bilder entfernt, abgehängt oder übermalt wurden. Zudem besuchte die Künstlerin Archive oder Lager, in denen Bilder mit einer ungewissen Zukunft aufbewahrt oder vergessen wurden. Mit ihrer bewusst gewählten Untertitelung der Fotografien bleiben Namen und Werkdaten erhalten und erfahren eine neue Repräsentation. Die zweite Serie VEB Robotron Leipzig (2012) zeigt den Zustand der Innenräume des ehemaligen Kombinats, das in der DDR zu Computern forschte und diese herstellte. Der Sitz in Leipzig wurde 2013 abgerissen. Drei der vier dokumentierten Wandbilder von Arno Rink, Rolf Kuhrt, Frank Ruddigkeit und Klaus Schwabe – in den Foyers über vier Etagen verteilt – sollen in den Neubau einer Bank integriert werden, der auf dem ehemaligen Gelände errichtet wurde. Sie sind seit dem Abriss 2013 eingelagert. Nadja Buttendorf (*1984, Dresden) löst den Bilderstau auf spielerische Weise auf: In ihrer Videoserie Robotron – a tech opera, Staffel 3 (2021) bezieht sich die Künstlerin ebenfalls auf den VEB Robotron. Anhand der eigenen Familiengeschichte zeichnet Nadja Buttendorf die DDR-Computerentwicklung als Technik-Oper aus heutiger Perspektive nach. Dabei reinterpretiert sie das ästhetische Repertoire sozialistischer Kunst mit heutiger Technik: Die Werkhalle wird in 3-D-gerenderte Ornamentik aufgelöst, die Figur der Arbeiterin mit zeitgenössischer Markenkleidung ausgestattet, während im Bildhintergrund sozialistische Malereien und Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Familienalbum auftauchen und ein fröhlicher Kinderchor im Loop ertönt.
After 1990, art from the GDR was largely stored away in »Depots« – specially designated art warehouses. On one hand, this procedure followed West German standards of evaluation, which denied GDR commissioned art and GDR state art any art-historical value. On the other hand, they abided by the artistic terms of East German art functionaries, who had already, even before 1989, excluded experimental or performative working methods from the art canon – such as the critical positions of the last GDR generation shown in the exhibition. Putting works into depots, taking them out of these storage facilities, and rendering them visible again as art, and in so doing dissolving the »Bilderstau« as art historian Marlene Heidel calls it – these two directions of movement define this case study.
The U144 Untergrundmuseum [Underground Museum] is an artists’ museum founded by Rainer Görß (*1960, Neustrelitz/Brandenburg) und Ania Rudolph (*1964, East Berlin) in Berlin-Mitte. As a former member of the Dresden Autoperforationsartisten, Rainer Görß was once part of the dissident GDR underground. In a former foundry on Linienstrasse, Görß and Rudolph have dedicated themselves since 1990 to the artistic recycling of political ideology and urban history – what they themselves call KIK–Critical Industry Culture. During the exhibition week, Rainer Görß will offer performative guided tours through the collection.
Public art works, commissioned during new building construction – both indoors and outdoors – have also been destroyed by demolition (so-called dismantling) or by a change of ownership (privatisation). An exterior wall around a building on Schillingstrasse in Berlin-Mitte, designed with ceramic elements, was created as such a public art work in the 1960s and became part of a residential block that was communal in GDR times and is now owned by a private owners’ association – the wall now left to decay. Achim Valbrachts(*1971, Rostock) schematic approach picks up on the modular structure and the elusive mobility of this work in his photo series. Emphasised by the title HUMPTY D, which refers to a well-known English nursery rhyme, the fractured figures of the individual sculptures, reminiscent of abstract representations of human bodies, manifest a melancholic identification as portraits of historical eyewitnesses. Likewise, Margret Hoppe’s (*1981, Greiz/Thüringen) photo series follows the traces of art’s upheavals. The work Die verschwundenen Bilder [The Disappeared Pictures] (2003–2006) documents the blank spaces left behind in rooms and on walls or facades when pictures were removed, taken down, or painted over after the cultural and political transition in 1989. The artist also visited archives or warehouses where artworks with an uncertain future were stored or forgotten. With her deliberately chosen photo captions, names and work specifications are preserved and take on a new mode of representation. The second series, VEB Robotron Leipzig (2012), depicts the state of the interiors of the computer research and electronics manufacturing conglomerate in the GDR, whose headquarters in Leipzig were demolished in 2013. Three of the four documented murals by Arno Rink, Rolf Kuhrt, Frank Ruddigkeit and Klaus Schwabe – spread across the foyers of four floors – are to be integrated into the new bank building erected on the former site; they have been in storage since the demolition in 2013. Drawing on her own family history, Nadja Buttendorf (*1984, Dresden) retraces the development of computers in the GDR as a tech opera – from today’s perspective and using a contemporary aesthetic repertoire.