Postimperiale Logos, wiedervereinigte Stühle etc. Ein Gespräch mit David Polzin.

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Edit: Anna Voswinckel (2021)
Lektorat: Anna-Lena Wenzel (2021)

Anna Voswinckel: Erzähl doch mal wie dein Buchprojekt Marken Zeichen Signete aus der Postimperialen Phase Deutschlands entstanden ist.

David Polzin: Die komplette Geschichte?

Anna Voswinckel: Ja.

David Polzin: Also, als ich noch gar nicht wusste, dass ich Ossi bin, hab ich mal ein Buch in die Hand bekommen. Das war Marken Zeichen Signete aus der Deutschen Demokratischen Republik, das wurde 1970 herausgegeben, als Katalog zu einer Ausstellung von Gebrauchsgrafiker*innen, und enthielt alle Markenzeichen, die es bis dato für Produkte des Binnenmarktes oder des Exports gab. Dieses Buch war voll mit lustigen Logos, die eine eigene Grammatik und Humor hatten. Ich hatte es immer wieder in der Hand, aber es hat sieben Jahre gedauert, bis ich das Buch ernst genommen habe, dann hab ich irgendwann so ein Bedürfnis verspürt, etwas mit den Logos zu machen. Aber ich wollte sie nicht so einfach abbilden und in eine Ausstellung hängen, ohne wirklich mehr über den Kontext zu wissen. Irgendwann hatte ich dann eine lustige Idee: Es gab nach der Wende, also nach dem Mauerfall, keine Betriebe mehr, es entstand nicht, wie in anderen sozialistischen Ländern aus dem Alten etwas Neues, sondern alles wurde einfach durch etwas ganz Neues ersetzt.

Und ich habe mir vorgestellt, wie bei der Auflösung der VEB’s, ganz viele kleine GmbHs entstehen, die sich weiter mit dem beschäftigen, was vorher da war und es zu etwas Neuem entwickeln, was cool oder lustig ist. Beispielsweise wurde aus dem VEB Kabelwerke der erste Hersteller für Handy, Ladekabel oder so. Anstatt alles wegzuhauen, entsteht Innovation, Aufbruch, Ideen. Man nimmt das Alte ernst als ein selbstbewusstes Wissen und beweist, dass es auch gute Ideen gab. Ich habe dann ein Logo nach dem anderen entwickelt und es wurden immer mehr. Und nachdem ich ein paar Seiten skizziert hatte, fiel mir wieder dieses Logo-Buch aus der DDR ein, das ich die ganze Zeit hatte, und hab realisiert, dass es da voll die Verwandtschaft gibt. Es war eine Zeit, wo man von diesem DDR-Thema eigentlich nur weg wollte. Ich dachte also, ich mach ganz normale Kunst und dann war ich doch wieder voll in der DDR-Geschichte drin. Ich hab diese Grafik im Osten in meiner Erinnerung nicht wahrgenommen, aber ich hab anscheinend einen Bezug dazu gehabt. Mir es fiel mir sehr leicht, Logos auszudenken oder mir Namen für Firmen auszudenken, mit so einem listigen deutsch-englischen Ossi-90er-Jahre-Humor. Irgendwann war klar, dass es ein Buch wird. Das ist zusammen mit Max Stockhoser vom AK Verlag entstanden. Das ist eigentlich auch ein Ossi Verlag, also fast, und das hat natürlich gepasst. Irgendwann haben wir entschieden, das Buch genauso zu layouten wie das Original Buch, es nur ein bisschen anders zu nennen: Marken Zeichen Signete aus der Postimperialen Phase Deutschlands. Ich bin über zwei Jahre, jede erdenkliche Sparte von Industrie bis Vereinen durchgegangen und habe versucht, zu jedem Bereichen Logos zu entwickeln. Irgendwann war klar, dass ich nicht nur Logos, sondern auch die  Urheber*innen[U1]  dazu erfinden muss, zum Beispiel Rolf Schmidt. Das war wie die Verarbeitung von Namen aus der Vergangenheit. Dann war 2015 das Buch da. Das war ein schöner, aber auch tragischer Prozess: zu checken, was eigentlich alles weggefallen ist. Allein diese grafische Kultur, diese Logos, die nicht nur für diese ganzen Betriebe stehen, die hätten entstehen können, sondern auch für…

Anna Voswinckel: … die visuelle Kultur.

David Polzin: Ja, eine visuelle Kultur und Kunst, die sich nicht weiter entwickeln sollte. Im selben Jahr, als meine Buch rauskam, war eine Ausstellung von polnischen Logos in Berlin, die sich ebenfalls auf eine Original-Ausstellung von 1969 in Polen bezog. Die waren grammatikalisch total ähnlich – sozialistische Grafik eben – aber da konnte man sehen, was sich hätte entwickeln können!

Anna Voswinckel: Es ist wie eine alternative Wirtschaftsgeschichte iIm Sinne von: so hätte es auch sein können.

David Polzin: Ja, diese sich durch visuelle Fussnoten wie die Logos manifestieren. Das ist ja das Tolle an Kunst: dass man über Bilder etwas darstellen kann, was es so nicht gibt.

Anna Voswinckel: Wir hatten ja auch kurz über diesen Genderaspekt bei der Buch- oder Logoproduktion gesprochen, wo dir im Nachhinein klar wurde, dass du mehr weiblich klingende Namen hättest auswählen können?

David Polzin: Ja, das Originalbuch hat einen ‘nen sehr massiv männlichen Einschlag. Obwohl der DDR nachgesagt wird, dass sie ein bisschen feministisch war, weil man Frauen als Arbeitskräfte brauchte, sollten sie aber trotzdem zu Hause ihre Arbeit verrichten; es war trotz allem ein Männerstaat. Das ist sichtbar in allen Facetten – auch in der Kunst. Von 350 Logos im Originalbuch sind vielleicht, wenn’s hochkommt, 20 Frauen. Ich habe ohne es zu merken, den Schnitt übernommen. Da war ich noch dabei mich zu emanzipieren, was diese Ossigeschichte angeht. Aber es macht viel mehr Sinn das intersektional zu betrachten und die Verschränkungen innerhalb der gesellschaftlichen Diskriminierung anzuschauen. Im Buch gibt es ein, zwei Bezüge zu Ossis-of-Colour, wenn man das so sagen kann. Dabei ist diese Ossi-of-Colour-Perspektive total relevant, weil die oft mehr verstanden haben als der weißer Ossi. Mittlerweile gibt’s einen Disclaimer im Buch, in dem ich benenne, dass es aus der weißen männlichen Perspektive entstanden ist.

Anna Voswinckel: Das finde ich einen wichtigen Aspekt. Also so ein Weiterdenken in dieser Frage, die lange Zeit nicht so intersektional gesehen wurde.

David Polzin: Ja, obwohl sie immer schon da war, aber diesen Perspektiven wurde nie genug Raum eingeräumt. Das ist ein riesiges vergeudetes Wissen! Ich weiß mittlerweile mehr über die postmigrantischen Perspektive als über die Perspektive von Feministinnen oder von Frauen. Aber auch in der BRD ist viel schief gelaufen in dem Bereich. Das muss beim nächsten Band auf jeden Fall mehr Platz bekommen.

Anna Voswinckel: Du planst einen neuen Band?

David Polzin: Ja. Ich hab schon vor zwei Jahren angefangen, Leute anzufragen, aber dann ist es wieder eingeschlafen.

Anna Voswinckel: Du hast befreundete Künstler*innen angefragt Logos zu zeichnen?

David Polzin: Genau, erst nur Ossis. Mich interessiert es, diese anderen Perspektiven zu hören. Das ist so ein riesiges Wissen! Zum Beispiel habe ich eine ukrainische Freundin gefragt, ob sie für mich Logos macht und die sie mir geschickt hat, könnten aus einem Original-Buch von 1970 sein! Oder auch Westberliner Perspektiven. Auch die können ja einen Bezug haben. Ich glaube, es ist besser sich dem zentralen Objekt von außen zu nähern, ganz bildhauerisch gedacht. Wenn du das Zentrum weglässt und verschiedene Außenperspektiven zusammenfügst in ein Gesamtbild, dann hast du ein komplexeres Bild von Ostdeutschland oder dem Thema deutsch-deutsche-Vereinigung.

Anna Voswinckel: Wie bist du auf die Möbel gekommen oder lief das immer parallel?

David Polzin: Die gab es schon vorher. Die Möbel waren eigentlich ein Witz. Die erste Stufe habe ich vor fast 10 Jahren gemacht im Vorfeld einer großen Ausstellung im MMK. Da kam der Gedanke auf, dass ich mich mal richtig mit dem Thema Ost-West beschäftigen muss. Ich hatte das Gefühl, es braucht etwas Skulpturales um die Wiedervereinigung darzustellen. Stühle sind easy, die kennt jeder, da hab ich keinen Schiss vor. Weil das DDR-Zeug ist, kriegst du die für 5 Euro das Stück, obwohl die teilweise echt schön sind. Ich fing an die zu zerlegen und neu zusammenzustellen, mir welche auszudenken, die nach der Wende entstanden sein können. Im Prinzip geht es darum, das, was da ist, aufzubrechen und neu zu verhandeln. Ich nehme ein Möbel von da und eins von da und vereine auf diese Weise die Geschichte von beiden Orten. Das ist bildnerische Mathematik.

Anna Voswinckel: Aber schon sehr skulptural.

David Polzin: Ja, aber es sollte nicht dabei bleiben, das wäre mir als Konzept zu simpel gewesen. Aber es ist eine Technik. Ich habe sie auch mal in Brüssel angewendet. Wenn du da Stühle von der Straße aufsammelst und daraus DDR-Möbel bauen willst, hast du auf einmal super koloniale Möbel, da kannst du gar nichts gegen machen.

Anna Voswinckel: Hat dich das gestört?

David Polzin: Nee, das fand ich interessant. Das Problem war, was soll ich in Brüssel mit der DDR? Es interessiert da einfach keinen. Egal, die sollen sich das ruhig mal angucken, hab ich gedacht. Bei einer Ausstellung in Liège war es dasselbe: Ich sammle die billigsten Stühle von der Straße oder vom Flohmarkt, fang an sie brutal zu zersägen und kleiner wieder zusammenzusetzen, so dass man nicht auf ihnen sitzen kann. Ich denke dabei an die Nach-Wende-Zeit, an das Weniger-Haben und das prekäre Leben, und die Leute fahren voll drauf ab, weil die Stühle das seelisch Zerbrochene dieser Gesellschaft repräsentieren, sie stehen für die total kaputte, postindustrielle, prekäre Gesellschaft vor dem Hintergrund dieser geilen Stadt.

Anna Voswinckel: Ist sehr materiell. Es gibt auch viele Bezüge oder Metaphern dazu, wie Zwischen-den-Stühlen-sein oder Halt-haben.

David Polzin: Ja, Wortspiele gibt‘s da endlos.

Anna Voswinckel: Aber ich meine nicht nur wegen der Wortspiele, sondern auch wofür das steht. Es ist ja kein Zufall, dass einige Künstler*innen der zweiten und dritten Generation Ost mit Möbeln arbeiten, so wie Henrike Naumann oder Inken Reinert. Das bietet sich an.

David Polzin: Ja, die Möbel sind das, was übrig geblieben ist. Die Gesellschaft ist gegangen, die DDR war nichts mehr wert. Wobei die Gesellschaft nicht wirklich von den Möbeln weggegangen ist, aber sie hat die Möbel von sich weggestoßen. Dann kommst du als junger Künstler und keiner kann dir was über diese Gesellschaft erzählen, weil keiner das weiter reflektiert hat. Aber du findest die Möbel – das sind die Zeugen der DDR. Mit denen kannst du arbeiten und dabei kannst du nichts falsch machen, weil es einfach niemanden interessiert, was mit den alten DDR-Möbeln passiert. Du findest du sie überall.

Anna Voswinckel: Wie Sperrmüll.

David Polzin: Ja. Es ist die verlassende Umwelt der DDR, die man da verarbeitet, weil die Menschen nicht mehr da sind. Ich kenne zwar noch Leute, das sind alles sehr besondere Menschen. Die hatten in der DDR so ihre Probleme. Es gibt einfach nicht die große klassische Überlieferung vom Wissen, von der eigenen Generation zur nächsten über Universitäten, Schulen, Bücher, Musik, Kultur. Das fehlt völlig. Das ist tragisch und gleichzeitig eine Möglichkeit, diesen riesigen Freiraum wieder neu zu bebildern. Diese Lücke als großen Zwischenraum zu verstehen und den neu zu bebildern, dazu braucht man auch Möbel und Logos. Das ist so geil daran.

Anna Voswinckel: Der Verlust der Tradition einerseits als Tragödie oder Trauma, aber auch als Freiraum?

David Polzin: Ja, Ich empfinde das als riesigen Freiraum. Das gilt auch für den Film, den ich gerade mache. Den würde ich nicht machen, wenn ich Tradition hätte, dann hätte ich viel zu viel Respekt.

Anna Voswinckel: Was für einen Film machst du?

David Polzin: Dazu muss da etwas ausholen: Letztes Jahr hab ich in einer Ausstellung in der Kunsthalle Osnabrück die westdeutsche Designgeschichte der Teilung nochmal neu erzählt aus ostdeutscher Perspektive und die ganzen Designklassiker der westdeutschen Randgruppen, präsentiert, zusammen mit Nazi-Möbeln und postkolonialen Möbeln, und jetzt mache ich den Film dazu.

Der Film bezieht sich auf eine der größten Stuhlsammlungen der Welt, die Rolf Fehlbaum gehört, der ist der König von Vitra. Der hat sich von Herzog & de Meuron auf seinem Vitra-Campus ein Stuhldepot bauen lassen. Dazu gibt es einen Film von 2019, der es perfekt schafft, sich nur mit Design zu beschäftigten und sich dem Kontext komplett zu verschließen: weiße Männer reden die ganze Zeit mit weißen Männern darüber, wie geil weiße Männer sind. Fertig. Alles super gut gemacht. Der Film ist exakt 90 Minuten lang. Mein Film fängt auch so an, aber hört ganz anders auf. Ich schreibe gerade die Dialoge dazu oder lade Leute ein, Dialoge zu schreiben. Zum Beispiel Dan Thy Ngygen, der dieses wunderbare Hörspiel gemacht hat, über das Sonnenblumenhaus und die Brandanschläge in Rostock-Lichtenhagen und auch Theaterregisseur, Schauspieler ist. Dann gibt es Dygo Arl, eine supercoole Schreiberin, Fußballerin und Moderatorin. Und dann gibt’s noch Anna Hermst. Mit der schreibe ich einen Dialog zu einer eher sperrigen ostdeutschen Frau, die in dem Film der Ausstellung gegenüber sehr kritisch argumentiert. Das macht echt Spaß. Aber selbst mir ist es passiert, dass ich ein Team zusammenstelle und dann sind das alles nur Wessis. Deswegen fehlt auch noch eine vierte Ossi-Autorin.

Anna Voswinckel: Apropos Vitra-Museum. Dawar kürzlich eine Ausstellung mit deinen Arbeiten zu sehen?

David Polzin: Ja, die ist jetzt grad. Da hängen vier kleine Logos von mir an der Wand. Die sind aber kleiner als sonst, nur ca 10 mal 10 cm, mit einem Text dazu. Das wird als DDR Design verkauft, aber eigentlich ist das von mir.

Anna Voswinckel: Es gab eine Besprechung in der Süddeutschen Zeitung, da klang es gut.

David Polzin: Ich bin mal gespannt, wie die das gemacht haben. Im Oktober wandert sie nach Dresden, da schau ich sie mir an.

Anna Voswinckel: Vielleicht kannst du da ja noch einen Stuhl unterbringen? Die Stühle passen ja eigentlich besser zum Thema.

David Polzin: Ja, das wäre gut. Crazy ist doch, dass meine Westdeutschland-Tour, bei der ich Stühle in den Sozialkaufhäusern gekauft hab, im Vitra-Designmuseum anfing. Da bin ich mit ihnen ins Gespräch gekommen und muss ihnen hoch anrechnen, dass sie mit mir weiter im Kontakt geblieben sind. Aber es ist halt ein sehr braver Laden. Ich frage mich was der Mehrwert dieser Gegenüberstellung von DDR und BRD-Designs ist. Was ist das neue Wissen ist, das entsteht?

Anna Voswinckel: Dass man nicht eine Sache ausblendet, als hätte es die gar nicht gegeben und beides zusammen liest.

David Polzin: Das ist klar. Aber die Frage ist: Was ist die Schlussfolgerung daraus?

Anna Voswinckel: Man denkt es notwendigerweise mit. Es ist eine Realität, oder?

David Polzin: Ja, es wäre schön wenn das passiert. Oder steht da das BRD-Zeugs und dann eher so als Witz daneben das DDR Zeug?

Anna Voswinckel: Ich habe die Ausstellung nicht gesehen, aber es las sich nicht so.

David Polzin: Es stimmt, dass die Ausstellung zusammen mit dem Kunst und Gewerbe Museum in Dresden entwickelt wurde. Aber am Ende ist es dennoch eine Vitra-Ausstellung und da kannst du machen, was du willst, das ist eine große Firma. Wenn die Ausstellungen machen, ist es so, als wenn Coca Cola eine Ausstellung macht. Das ist nicht ganz das gleiche, weil Design mehr Kultur ist als dieses Getränk. Aber mich wurmt, dass die mit ihrer krass viel Asche Kultur gestalten können. Warum macht diese Ausstellung über deutsch-deutschen Designeine eine  private Firma? Warum nicht die wichtigsten größten Museum Deutschlands in Ost und West? Warum ist sie nicht in Köln, München, Hamburg, sondern in Weil am Rhein und in Dresden?

Anna Voswinckel: Vielleicht sind sie ja die Vorreiter.

David Polzin: Aber sie legitimieren mit ihrer kulturellen gleichzeitig ihre kommerzielle Arbeit. Das ist wichtig zu benennen. Das macht mich skeptisch. Wenn du ein Museum wie das Vitra etablieren kannst, hast du auch eine gewisse Deutungshoheit. Wenn du 2019 immer noch eine Erzählung auftischt, die komplett ohne Frauen und ohne alle anderen Menschen, die parallel zu diesem Ereignis überlebt haben, auskommst, festigst du ein sehr weißes, eurozentristisches Bild. Es ist problematisch, wenn man das Firmen überlässt.

Anna Voswinckel: Es gibt da ja verschiedene Modelle. Es gibt zum Beispiel das Johann Jacobs Museum in Zürich, das von dem Kaffeehändler oder seinen Erben etabliert wurde. Das ist ein ähnliches Modell: ein von einem Unternehmen initiiertes und finanziertes Museum. Der Direktor Roger Buergel, der auch die documenta kuratiert hat, hat einen sehr kritischen postkolonialen Ansatz. Da kann man sich fragen, wie effektiv das ist, aber es ist interessant, finde ich.

David Polzin: Ja, aber das ist ein wichtiger Punkt: Wie effektiv ist es, wenn eine Firma die Kritik in ihr Produkt mit einbaut, statt das eine unabhängige Institution die Kritik äußert? Das ist das Hollywood-Verhalten: Man macht einen Film über die Kritik an sich selbst und dann ist es konsumierbar und verschwindet. Es gibt dafür viele Beispiele: Meine liebste Rapperin Ebow, die in der queeren Szene sehr aktiv ist, macht auf einmal Nike-Werbung. Wenn sie über Frei-Räume und Strukturen spricht und parallel die Schuhe eingeblendet werden, dann wird diese Meinung, die so wichtig und hart entwickelt wurde, konsumierbar. Sie wird weg konsumiert. Die Frage ist: Kann man Kritik innerhalb von kapitalistischen Produkten äußern?

Anna Voswinckel: Aber immerhin haben sie keine Sweatshops, sie produzieren in Deutschland und es gibt keine Umweltrisiken, anders als Firmen wie Coca-Cola oder Nike.

David Polzin: Ja, aber es ist eine Firma, die von der Legenden lebt: hier wurde der Stuhl, den alle sich leisten können, aber ich kann mir das immer noch nicht leisten. Solchen Firmen meinen nicht uns alle, sondern die aus der bürgerlichen Schicht, die es sich leisten können.

Anna Voswinckel: Aber es ist kein SUV.

David Polzin: Ja, es ist an sich kein schädliches Produkt. Aber es ist trotzdem eine kapitalistische Firma, mit vielen Tochterfirmen, die sehr männlich dominiert funktioniert, kulturell gesehen. Für mich ist es altes Geld, ist es westdeutsche (obwohl es auch Schweizer sind) Herrenmacht, die schon immer da war. Da hab ich einfach kein Bock mehr drauf. Die machen mit ihren 10 Prozent für Kultur zwar schon mehr als andere Firmen, aber trotzdem ist es keine Kultureinrichtung.

Anna Voswinckel: Eine andere wäre Firma wäre Ikea, die Möbel macht fürs Volk sozusagen und hat auch in der DDR produzieren lassen. Die hat kein Design-Museum, aber investiert auch nicht in Kultur.

David Polzin: Aber in irgendwas müssen sie ja investieren. Die Ausstellung ist sicherlich schön, aber mich stört da so viel dran. Ich fühl mich ausgeschlossen, wenn ich da hingehe. Ich bin kein Wessi, ich bin kein Kenner, ich bin kein Ergebener. Ich frage mich, wo sind denn hier die DDR-Möbel? Ich hab das verinnerlicht, dieses Gefühl des Ausgeschlossenseins. Es ist okay, wenn man sich so fühlt. Und das ist ja nicht nur da so. Es passiert immer wieder, wenn man in Westdeutschland in Institutionen geht. Es ist ja kein Hass, der mich so skeptisch macht. Ich mache einfach ein Angebot, die Perspektiven der Ostdeutschen mit einzubeziehen. Um eine komplexere, intelligentere Kultur zu haben. Also mehr Wissen, mehr Meinung, das fehlt ja immer.

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siehe zu diesem Thema auch die aktuelle Ausstellung Deutsches Design 1949 – 1989 Zwei Länder, eine Geschichte in der Kunsthalle Lipsiusbau Dresden