MANN EY

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Tucké Royale

MANN EY 

Ich bin ein Mann ohne Vergangenheit.

Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet.

Ich bin der Mann im Altbau, 4. Stock.

Ich bin der, der mein Vater und mein Großvater nicht war.

In keinem Krieg war ich.

Meine Hände sind schmal.

Ich bin der Mann, der sich selbst mal konnte.

Der, der schon vormittags in der Badewanne liegt.

Ich bin einer mit Flugangst.

Ich bin ein Mann, der seine Papiere geändert hat.

Der seiner Vorgängerin sein Leben verdankt.

Ich bin einer, der den Vögeln hinterher zog, als es längst Winter war.

Ich bin ein Mann mit Vergangenheit.

Ich habe mich selbst um Asyl gebeten.

Ich habe kein Begrüßungsgeld empfangen als ich rübermachte.

Ich bin der doppelt Pubertierte mit dem autodidaktischen Bart.

Meinen Stimmbruch hab ich mit 30 erzwungen.

Ich trage ein seltenes Wissen.

Ich bin ein Mann ohne Wiederkehr.

Ich hab mich unter Vollnarkose plattmachen lassen.

Ich habe geweint in der Stunde davor.

Ich bin ein Mann, der Luft holt, wenn andere schlafen.

Dessen Brustkorb Narben schmücken.

Ich bin der Mann mit den abgebrochenen Brücken zum Kleinstadthintergrund. 

Ich bin der, für den es in seinem Beruf keine Vorsehung gibt.

Der, der sich nur schwer gegen Neugierde halten kann.

Der, mit dem Mitteilungsbedürfnis.

Ich bin ein aus seiner Haut gefahrener Mann.

Der sich den Fußball nahm, als er ihm nicht ausgehändigt war.

Ich bin ein Mann, der gerne küsst.

Ich kenne dich und kenn dich nicht.

Ich bin ein Mann, der die Inflation überstand.

Ich bin ein Mann, der kein Geld der Welt annehmen kann.

Ich stehe nachts betrunken am Bügelbrett und hole nichts nach.

Ich bin der Mann, dessen Rucksack kontrolliert wird.

Der, dessen Dildosammlung im Gepäck die Sicherheitsfirmen verunsichert. 

Ich bin der Mann, der auf dem Klo zu lange lächelt.

Ich bin ständig in Schwulitäten.

Meine Angst vor Spritzen gehört der Vergangenheit.

Ich bin der Mann mit dem Patti Smith-Shirt in der Sammelumkleide.

Ich bin der Mann zwischen Anpassung und Widerstand.

Der, der die Angst im Dunkeln nicht aus dem Körper bekommt.

Der, der jetzt als Angreifer in Frage kommt.

Ich bin der Mann, der wartet, dass die Tür ins Schloss fällt.

Ich bin ein Mann der Schwermut und der Dämmerung.

Des aufgeregten Herzschlags und des Haarausfalls.

Ich bin ein Mann, der sich sein Herz genommen hat.

Der an sich glaubt.

Ich bin der Mann, der es nur schlurfend um die Klinik schafft.

Der sich selbst besetzt hat.

Und ich bin ein Mann, der sich selbst nicht bereut.

Und, einer, der es nicht besser weiß.

Ich bin, ich weiß und weiß es nicht.

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