Interview »Der Punkt, an dem ich starte, ist das Nicht-Passen.«

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Im Interview mit Dominikus Müller /Berlin Art Week spricht Elske Rosenfeld über das Konzept der Ausstellung “oder kann das weg? Fallstudien zu Nachwende” und die parallel am nGbK-Standort stationen urbaner kulturen stattfindende Ausstellung “Neues Deutschland”.

Auf Deutsch: https://berlinartweek.de/artikel/der-punkt-an-dem-ich-starte-ist-das-nicht-passen/
Auf Englisch: https://berlinartweek.de/en/artikel/the-not-fitting-is-my-starting-point/

Auszug:

Sie sind aktuell noch in ein anderes Projekt in der nGbK involviert, das ebenfalls während der Berlin Art Week zu sehen sein wird: die Ausstellung ›… oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende‹, die sich mit Methoden und Motiven auseinandersetzt, die in der späten DDR entwickelt worden waren und in Deutschland nach 1990 unlesbar wurden. Was sind das für Motive und Methoden? Kann man das benennen?

Uns ist einfach aufgefallen, dass es inzwischen eine neue Generation jüngerer Künstler*innen gibt, die sich positiv und erfolgreich auf ihren DDR-Hintergrund beziehen, dass aber relativ wenig Wissen oder Verbindungslinien zu den tatsächlichen künstlerischen Arbeitsweisen und den Leuten existieren, die in der DDR gearbeitet haben. Es gibt einen Bruch und eine Unterbrechung von bestimmt zwanzig Jahren, in der künstlerische Arbeitsweisen aus dem Osten wenig sichtbar waren. Man kann das sozial und biografisch erklären, über fehlende Netzwerke und fehlende ökonomische Mittel. Das trifft sicher zu. Man könnte aber auch noch anders argumentieren: Das Kunstfeld, wie es sich heute präsentiert, steht in einer Kontinuität mit dem damals westlichen Kunstfeld. Und Ansätze und Wertigkeiten einer in der DDR geprägten Kunst wurden da nach 1990 unter Umständen gar nicht als Kunst wahrgenommen. So jemand wie Georg Baselitz hat ja tatsächlich behauptet, dass es in der DDR gar keine Kunst gab. Wie aber konstituierte diese DDR-Kunst ihre Wertigkeit? Und was macht sie so anders, dass sie nicht erkannt wird? Findet sich darin dann nicht auch ein Potenzial, dem dominanten Bild etwas entgegenzusetzen? Uns hat also interessiert, wie damals konkret gearbeitet wurde und warum das nach 1990 so unverständlich wurde. Man muss nur einmal das Prinzip des ›Kollektivs‹ nehmen—wobei dieses Wort auch schon wieder schwierig ist. Denn auch wenn es in vielen künstlerischen Ansätzen der späten DDR eine Affirmation des Wir oder des Kollektiven gibt, so ist damit nicht das Kollektiv gemeint, das staatlicherseits immer eingefordert wurde, sondern eher dissidente Formen des kollektiven Seins. Auch die Modi, in denen Kunst und Leben voneinander abgegrenzt wurden oder eben nicht, waren ganz andere als im Westen.

Wie begreifen Sie im Kontext des NGbK-Projekts denn den Begriff der ›Nachwende‹?

Wir fassen den Nachwendebegriff sehr weit, und zwar von den späten 1980ern bis ins Jetzt. Wir suchen nach Kontinuitäten und Brüchen. Und wir fragen nach Möglichkeiten, wie das, was liegengeblieben ist oder von den dominanten westlichen Begrifflichkeiten und Wertigkeiten verdeckt wurde, aber nicht verschwunden ist, noch einmal aufgemacht werden kann. In der Ausstellung arbeiten wir zum Beispiel mit dem Begriff des Depots. Sehr viel DDR-Kunst ist nach 1990 ganz buchstäblich im Depot verschwunden. Und auch wenn das heißt, dass sie zunächst einmal unsichtbar geworden ist, wurde sie aber eben dennoch auch aufgehoben. Das ist schlummerndes Material. Man kann es hervorholen und wieder ins Heute bringen.

Hat sich in der Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte und DDR-Kunst während der letzten Jahre etwas verändert?

Sehr viel sogar. Für mich kam das unerwartet. Ich habe 2009/10 begonnen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Damals habe ich noch jede Künstler*in, die dazu gearbeitet hat, persönlich angeschrieben, weil ich mich so drüber gefreut habe, wenn es andere gab. Auf eine Art ist das inzwischen aber zu einem heißen Thema geworden. Warum? Will man zynisch und pessimistisch sein, dann hat das mit dem Rechtsdrall im Osten zu tun. Das gestiegene Interesse an DDR-Themen wäre demnach Ausdruck der Besorgnis angesichts dieser Entwicklungen. Aber es gibt auch Positives zu berichten: Viele Geschichten, die lange nicht gehört oder erzählt wurden, können nun erzählt werden. Vielleicht könnte man sagen: Wir befinden uns am Beginn einer Aufarbeitung der Nachwendejahre aber auch einer Neuausrichtung der Forschung. Bis vor etwa fünf Jahren gab es in Sachen DDR-Geschichte zwei Schienen, einmal den DDR-Unrechtsstaat, die SED-Diktatur und die Stasi, ein andermal dieses eher belächelte Ostalgie-Ding. Dazwischen war nicht viel Platz. Insbesondere im Hinblick auf Kunstgeschichte war da wenig. In den letzten vier bis fünf Jahren sind nun aber einige wichtige Bücher erschienen. Eine jüngere Generation beginnt, sich mit dem heutigen Vokabular den damaligen Praxen zuzuwenden. Das hat gefehlt. Denn das heißt auch, die DDR-Geschichte nicht in ihrem eigenen Sprech zu lesen. Zudem verändert sich das oft aus dem Westen übernommene Vokabular aber auch selbst. Da ist für mich sehr wichtig: Das Werkzeug, das man verwendet, ändert sich, wenn man es auf eine Geschichte bezieht, für die es nicht gemacht worden ist. In anderen Ländern in Osteuropa werden diese Gespräche ja schon länger geführt.

Worauf führen Sie diese Verspätung in Deutschland zurück?

Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Um mit einem konkreten Beispiel zu beginnen: Erst vor kurzem hatte ich meine erste westdeutsche Ausstellung. Bis dahin hatte ich zwar Einladungen aus dem deutschsprachigen Ausland, aus Österreich und der Schweiz, aber nie aus Westdeutschland. Denn es gibt oder gab dort zumindest eine Befangenheit. Für Österreicher*innen und Schweizer*innen ist es einfacher, da sie eine gewisse Distanz mitbringen und sich nicht mit ihrer eigenen Rolle beschäftigen müssen, mit den Überschreibungen des Ostens durch den Westen in der Zeit nach 1990. Dazu kommt, zweitens, dass ein deutscher Nationalismus und die Sehnsucht nach der Einheit bestimmte kulturelle Unterschiede oder Abweichungen verdrängen. Und drittens: Die Post-DDR lässt sich in internationalen Forschungskontexten schwer adressieren. Das ist auch eine Förderfrage: In Deutschland hat man für das DDR-Thema lange kein Geld bekommen und in den Osteuropa-Kontexten wollte niemand sein Geld ins reiche Deutschland geben. Resultat war eine Art doppelte Ausklammerung, eine Leerstelle zwischen zwei Seiten. Da sind Deutschland und seine kulturellen Institutionen in meinen Augen zweifelsohne gefragt, das durch eine entsprechende Förderpolitik nachzuholen.