Gleitmittel: Ost-Gleitmittel, Text von Suse Weber

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Liebe A.,

Nun, auf die Frage, ob ich den Text “Gleitmittel: Ost-Gleitmittel” in die Fallstudien einbinden möchte (erneut veröffentlichen), dazu ein Vorschlag: Es gab eine massive Kürzung des Textes für die Online- Ausgabe Texte zur Kunst (TzK #113 „Diskriminierung/ Discrimination“ 27.3.2019: https://www.textezurkunst.de/articles/ost-gleitmittel/). Warum ich das anbringe: Im Grunde wurde komplett eine von mir bewußt gestaltete Text-Kippung (*1,*2) gestrichen.
Selbst als Austragungsort”- gerne würde ich diese Fragmente mit “Anekdötchen” betiteln, wünschte aber, es gäbe noch eine massivere Verkleinerungsform im Sinne einer Quetschung, die meine Notizen hastiger (gehetzt, entsetzt), ohnmächtiger und unendlich ergänzbarer durch mich und (!) durch weitere Zeitzeug*innen-Notizen ergänzen ließen. So habe ich Deine / eure Einladung zur Teilhabe an den Fallstudien verstanden.

LG Suse

Die Anfrage

“Liebe S…,Ich hoffe, Du erinnerst Dich noch an unser Gespräch bei der Eröffnung von Dominique Gonzales-Forster in Leipzig. Ich fände es nach wie vor sehr interessant und notwendig, wenn Du einen Online-Artikel zum Thema Rassismus in Ostdeutschland (auch im Hinblick auf die Kunstinstitutionen) schreiben möchtest. Hättest Du denn Zeit und Lust darauf?…..

LG N. “(..aus Email November 2018)

Erste Antwort

“Liebe N., haben wir unterschiedliche Erinnerungen an das Gespräch? Nun zunächst habe ich in die Runde gestellt, warum die Ausstellung von Texte zur Kunst (Editionen) in der GfZK Leipzig sich lediglich auf die Zeit in Köln bezieht, “Berlin” komplett ausgelassen wurde. Es sich für mich um eine Auswahl der Editionen handelte, die stark einer typischen Nachwende-Ausstellung westdeutscher Kunst (einer bestimmten Periode zugeordnet) als Import-Modell ähnelt.

Meine nächste Frage galt, warum der Streit in Dresden 2017 keinen Eingang in die Veröffentlichungen von Texte zur Kunst gefunden hat? Ob es sich um einen Mangel an Kontakten handelt, oder ob es schlichtweg kein Interesse gibt. Im Gespräch habe ich darauf hingewiesen, dass das Vorgehen in Dresden kein regionales (die “Provinz” Dresden betreffendes) Phänomen ist, sondern einer neuen Funktionalisierung von Kunst den Weg bereitet, Vorbilder (Vorgehensweisen) etabliert werden, die doch eigentlich mindestens eine Alarmglocke aktivieren müsste.”

Dann haben wir telefoniert.
Ich erinnere mich, dass ich Fragen zu Deiner Vorstellung (der zu erwartende Text) von “Rassismus und Ostdeutschland” gestellt habe. Und ich weiss nicht, wie es dazu kam, dass Du Dich selbst korrigiert hast:”….Diskriminierung und Ostdeutschland”, (war das eine “Erweiterung” oder eine “Präzession”?) Mein Hinweis, dass es bereits ausreichendes “Meinungsmaterial” darüber gibt, ich mindestens ein Jahr Recherchezeit bräuchte, um einen tatsächlich guten Artikel zu verfassen, der noch von Interesse sein könnte und in den “Diskurs” neu einspeist, ich von einem “Meinungsartikel” absehen möchte und wir über Format/ Form sprachen (Du meintest, es wäre dann die Rubrik “Artist-Statement”), habe ich zugesagt.
(aus Email von Suse Weber 2018)

Gleitmittel: Ost-Gleitmittel

Ursprünglicher Einleitungsvorschlag von Suse Weber:

Ich verwende den Begriff Ostdeutschland und Ostdeutsche für mich selbst nicht.

Worin besteht das eigentliche Interesse: Ex-Ossi schreibt? Ab wann ist man Ex-Ossi, wie lange ist man Ex-Ossi? Mit der Geburt und bis zum Tod? Ist ein Ex-Ossi-Text eine Art Perspektiv-Text? Also die Argumentation aus einer (einzigen) Perspektive? Bin ich eingeladen auf einen Ossi-Perspektivtext auf Ostdeutschland im Themenfeld Rassismus und Diskriminierung (d.h.: logisch – automatisch – identifikatorisch?).

Selbst-Justierungen von Kolleg*innen um das Jahr 2000 (Rekonstruktionen)
“…Ich lasse die Nennung meines Geburtsortes weg, das ist die einzige Möglichkeit, mich akzeptabel in die Zeit heute zu katapultieren”…oder: “Zum Glück habe ich ein Jahr im Westen gelebt, so laufe ich unter der Rubrik Wessi und erspare mir hoffentlich die widrigen Abstufungen bei der finanziellen Vergütung”…’Ich verkaufe eigentlich nur in…, da läuft D. noch unter der Expressionisten- Schule, eben Vorkriegszeit, das kennen die…,das gilt als zuordenbar und allgemein Deutsch…”

Sind die Begriffe Ostdeutschland / Diskriminierung / Institution, in einem Atemzug genannt, eine verbale und gleichzeitig territoriale Verkettung? Geht man also immer noch davon aus, dass die ostdeutsche Künstler*in in Ostdeutschland und die westdeutsche Künstler*in in Westdeutschland agiert?

Gleitmittel: Ost-Gleitmittel

Einleitung von Texte zur Kunst
In unserer aktuellen Ausgabe 113 versammelten wir viele Stimmen zu den Themen Diskriminierung und Rassismus. Untersuchten wir dabei strukturelle Diskriminierungen in vor allem Kultur- und Kunstinstitutionen, so beachteten wir wenig die deutsch-deutsche Problematik an sich und übersprangen dabei ein wichtiges Kapitel einer immer noch tiefliegenden innerdeutschen Diskriminierung. Liefern wir damit rein westliche Perspektiven? Und wie diskriminatorisch gehen wir selbst vor, wenn wir nun einen „Ex-Ossi-Text als eine Art Perspektiv-Text“ (so die Künstlerin selbst) anfragten? Suse Weber antwortete uns dennoch auf unsere Anfrage zu “Diskriminierung/ Ostdeutschland” mit einem Statement.
(Texte zur Kunst, online, März 2019)

Jedem sollte bewusst sein, dass das “Aufbau-Ost-Programm” nicht nur in einer wirtschaftlichen Umstrukturierung bestand, sondern ebenso Umstrukturierungsmaßnahmen von Kultur und Bildung beinhaltete, mit Konsequenzen für Ausstellungsinstitutionen, Museen, Kunstakademien und damit in Verbindung stehende Förderungsstrukturen für individuelle künstlerische Arbeiten. Mit dem Auswechseln von Personen verbunden war das Verstauen bis dato gültiger Werke in Depots und damit auch das Verschwinden von Quellen und Archiven.

Es wurde Platz geschaffen für neue Einflüsse, ein Import von Kunst und Kunstagent*innen setzte ein, die wie eine mächtige Welle eine notwendige Auseinandersetzung mit den eigenen Beständen und diverser vorangegangener Ausschlussverfahren von Künstler*innen und deren Werke überrollte. Aus der Aufklärungswelle wurde eine über Jahre anhaltende Expansionspolitik. Die sogenannten “Freiflächen” boten für unzählige Neuankömmlinge, Künstler*innen, Kurator*innen, Galerist*innen und auch Sammler*innen dauerhafte Sichtbarmachungen.

Nun könnte man davon ausgehen, dass sich wiederum auch Freiflächen im anderen Teil Deutschlands innerhalb dieses Prozesses ergeben könnten…

Während mittlerweile über das Vorgehen der Treuhand und der Gewerkschaften im Zuge der Erschließung von Wirtschaftsstandorten und Konkurrenzlöschungen berichtet wird, blieb und bleibt die Auseinandersetzung mit Vorgängen im “Betrieb der Kunst” aus oder wurde als regionale Problematik heruntergespielt.

Galten zunächst Maschinen und Werkzeuge als überholt und veraltet, kurze Zeit darauf auch Ausbildungsnachweise und die Neu-Bürger selbst als überholt, rückständig und nicht ausreichend gebildet mit der Konsequenz eines einsetzenden Lohndumpings, langfristiger Minderung eines Rentenanspruchs und der Verlust der Gleichstellung der Frauen (für die in den Arbeitsämtern zunächst keine Jobs vorgesehen waren), hatte dieser Abwertungsprozess auch Wirkung auf die Bewertung von Kunst: überholt, rückständig- akademisch, ungebildet – “ein regionales Inselformat”. Die in einer Überheblichkeit vorgetragene Unkenntnis der neuen Kunstagent*innen über Verbindungen der Künstler*innen innerhalb Osteuropas und einer Ausstellungspraxis außerhalb staatlich organisierter Formate (“Blütezeit” 80er Jahre), heute gern als oppositionelle Kunst bezeichnet, traf zunächst auf ein Vakuum, genährt durch Sprachlosigkeit.

Wie erfolgt ein “Rückbau” von Quellen (Archiven)? Eine Anleitung (aus Notizen 2006):
Täusche eine Renovierungsabsicht vor (falls kein Besitzerwechsel vorliegt). Schaffe eine ausgelagerte Zweigstelle, unbedingt geringere Fläche, reduziertes Material. Setze ABM-Kräfte ein (geringe Motivation), verringere Zugänglichkeiten (nur mit Voranmeldung und schriftlicher Begründung des Interesses). Damit reduzierst Du die Besucherzahl und damit nachweislich öffentliches Interesse. Mit der geringen Besucherzahl legitimierst Du die Schließung und Nicht-Finanzierbarkeit († Tanzarchiv Leipzig).

Der erste wahrnehmbare Protest um den Umgang mit Kunst fand in der damaligen Kulturhauptstadt Weimar 1999 statt. Zunächst als “Weimarer Bilderstreit” betitelt, wurde die nun öffentlich gewordene Diskussion zum “Bilderkampf” erklärt und infolge der Auseinandersetzungen zum “Weimarer Bildersturm”. Während der Ausstellung “Aufstieg und Fall der Moderne” forderten Künstler*innen die sofortige Rückgabe ihrer Werke oder entfernten sie kurzerhand selbst aus der Ausstellung. Die Kritik richtete sich gegen eine Kombination und damit empfundene Gleichsetzung mit der Kunst des Nationalsozialismus (Untergeschoss) und der Inszenierung von “Offiziell und Inoffiziell – Die Kunst der DDR“ im Obergeschoss einer Mehrzweckhalle. Ein Handlaufsystem aus Abflussrohren führte in die obere Etage, blaugraue Plastikmüllsäcke bildeten den Hintergrund für u.a. Malereien aus dem Palast der Republik und einem Miniatur-Kabinett für das neue Genre “Oppositionelle Kunst”. Zusammengehalten wurde beides durch eine Baustellenästhetik, Werke wurden scheinbar wahllos drapiert, auf Hintergrundinformationen wurde verzichtet.

Bibliothek des Künstlers G. B. 1999, aus Notizen nach Weimar: „Aus den Beständen wurde uns (den Student*innen) eine Broschüre gereicht, die im Zuge der ,Entarteten Kunst‘ publiziert wurde und Preislisten der Werke enthielten, die aus den Museen in Depots zunächst verstaut, dann Devisen einbringend ins Ausland veräußert oder gar verbrannt wurden. Die Gespräche kreisten um die Zusammenhänge von Zahlen (Werten), Verkaufen und Kaufen.“

Die bereits 1999 in der Ausstellung thematisierte Nähe der Kunst zum Nationalsozialismus und die Wiederbelebung des 18. und 19. Jahrhunderts wurden sprachlich und städtebaulich begleitet durch Rekonstruktionsmaßnahmen und Straßenumbenennungen, wobei hier das größte Problem war, inwieweit man in der Stadtgeschichte zurückgehen kann, tauchten doch plötzlich wieder Namen von Naziverbrechern auf. Die Fassaden der Vormoderne mit neuen Goldübertünchungen auszustatten und, in der Geste verbleibend, gleichzeitig einen großflächigen Abriss von Gebäuden der “sozialistischen Moderne” einzuleiten, bekannt als “Rückbau”, förderte den Nährboden für ein deutsch-territoriales Bewusstsein. Dieser großflächig unterstützte “neudeutsche” Historismus stand den anfangs erwähnten zeitgenössischen Ausstellungsformaten gegenüber – einem westlichen (Bilder-) Universum, dessen Motive und Methoden als nicht lesbar wahrgenommen wurden – eine Art Produkt-DADA.

UDK, Berlin 1997 (aus Notizen):
“…guten Künstlerinnen müsste man unter den Rock schaun, denn da baumelt eh ein Schwanz’…kombiniert mit der Forderung nach Einführung eines Hormontests, …’wie im DDR-Sport’…, ‘alles was in der DDR an Kunst gemacht wurde, ist keine Kunst, denn da war Diktatur, unmöglich, freie Kunst zu machen…’,…Prüfungsfrage UDK (einzige Frage):’ … und wie stehen Sie heut’ zum deutschen Staat…?’.”

Die gern als „Westkunst“ betitelten Ausstellungsszenarien schienen ausgestattet mit Mannschaften aus Kunsthistorikern, Kunsttheoretikern und Ausstellungsmachern. Die Bausteine der Vermittlung waren nahezu identisch. Erstens: kunsthistorischer Kontext (Amerikanische Kunst nach 1945 und ein Bilderstreit als Auseinandersetzung von europäischer und amerikanischer Kunst, als Streit zwischen Figuration und Abstraktion, als Streit zwischen Minimalismus, Concept Art, Arte Povera, Nouveau Réalisme). Und zweitens: „individueller“ Werdegang der Künstler.

Für Künstler*innen in den neuen Bundesländern mit „alter Biografie“ galt die Reduzierung von Ausstellungsmöglichkeiten, die Demontage von Quellen, das Absprechen eines bis dato gültigen Kunstkontextes innerhalb der Kunstgeschichte. Diese Vorgänge provozierten einerseits den totalen Rückzug in die Ateliers und andererseits ein „Einspringen“ in Form von mündlich überlieferten Erlebnismodellen. Diese Selbstvermittlungsformate hatten fast ausnahmslos Konjunktur. Dabei handelte es sich nicht nur um Storytelling, sondern um persönlich vorgetragene, inoffizielle Aufklärung. Ein Bedürfnis, auch um der beschränkten Rollenbilder entgegenzuwirken. Es entstand eine Form der biografischen Legitimation als Ersatz für die Kritiker*in, die später aufgegriffen in „Biografie als Warenwert“ zurückschlug und bis heute zurückschlägt.

Bekannt ist die hohe Abwanderungsrate in die alten Bundesländer besonders nach dem Fall der Mauer, häufig auch beschrieben als Abwanderung einer fast kompletten Generation (68 Prozent Frauenanteil). So wundert es doch, dass Ausstellungskonzepte und Arbeiten von Künstler*innen, die sich durchaus mit diesen „Bilderkämpfen“ in ihren Arbeiten auseinandersetzten, institutionell abgewiesen wurden mit Begründungen, dass diese „euer und nicht unser Problem“ seien (Hannover 2012) oder dass keine Finanzierungsmöglichkeiten „dafür“ gefunden werden könnten (Köln 2006). Auch das Argument eines angeblich nicht vorhandenen Publikums wurde gern angeführt, trotz 3,3 Mill. Zuwanderern (bis 2004).

Offenbach 2016, aus Notizen: Ein Professor aus Offenbach raunt mir ins Ohr, „dass man mich als Ossi doch gut hingekriegt hätte“. War das ein Kompliment? Oder eine selbst eingeräumte Rolle als großzügiger Aufklärer (es drängte sich der Gedanke auf, ob ich aus seiner Sicht einem großen Umerziehungslager entsprungen bin). Handelt es sich gar um einen aus der Fassung geratenen Lehrenden, der das erste Mal damit konfrontiert wurde, dass „jemand aus dem Osten” eine äquivalente Stelle antreten könnte?

(*1)

Einer Ausladung aus einer Feminismus-Konferenz, mit der Begründung nicht exemplarisch genug zu sein (Bonn 2013)…oder die Argumentation, die Frauenrolle wäre staatliches Geschenk in der DDR gewesen, damit keine Kampfzone (Berlin 2019) gingen voran diverse angetragene Image-Wechsel-Empfehlungen für meine “Rolle” als Frau. Ein Verleger (2015) bat um eine Erklärung für die hohe Zahl der weiblichen Abwander*innen aus Ost nach West, wäre es doch die Aufgabe der Männer, die Familie zu ernähren. So verwundert es nicht, dass im Zuge der Digitalisierung einer Kunstsammlung (in Berlin ansässiges Unternehmen, ursprünglich firmeninterne Initiative malender Gynäkologen) Bestände in neue Kategorien eingeteilt wurden (Berlin 2001), die von einer Kunsthistorikerin gesichtet und auf ihren Wert geprüft, eine bemerkenswerte Anzahl von Künstler*innen aus der Registratur entfernt wurden, da sich keine kunsthistorischen Belege ihres Schaffens in den bestehenden Bibliotheken und Ausstellungsverzeichnissen finden ließen.

aus Notizen, Berlin 2016:
“Die Berlinische Galerie ist eines der jüngsten Museen der Hauptstadt und sammelt in Berlin entstandene Kunst von 1870 bis heute – mit lokalem Fokus und internationalem Anspruch zugleich…Die Kunst des geteilten Berlin und der wiedervereinten Metropole bildet einen weiteren Schwerpunkt.” (aus: Webseite Berlinische Galerie)
Immer noch: Raum Westberlin! Kein Raum Ostberlin. Kunst des geteilten Berlin: ein Teil Dauerausstellung, der andere Teil im Dauer- Depot? Immer noch schwierig, Werke zu lokalisieren…Student*innen drängen auf Sichtung…mir gehen die Antworten aus…

Offenbach 2016, nach Anhörung: “… Können Sie mir ihre Quellen benennen? Sonst würde ich das als persönliche Befindlichkeit bewerten und diese fällt aus der wissenschaftlichen Beweisführung raus…”

Die Nachwende und mittlerweile Nach-Nach-Wende-Initiativen waren soziologische Netzwerke, die sich heute u.a. als eingetragene Vereine mit Namen wie „Dritte Generation Ost“ zunächst der Forschung „Krankheitsbild: DDR-Bürger“ widmen. Nach einer Spaltung 2013 in „Perspektive hoch drei e.V.“, mit fast schon denkmalpflegerischen Ansätzen, führte eine öffentliche Debatte um die Nähe zur allgemeinen Migrationsproblematik in eine Unterteilung von „Wende-, West- und Migrationskinder – Generation Deutsche Einheit“. Die Initiativen wurden bereits ausgelobt: 2. Preis SUPERillu (!!!) und Preis der Bundeszentrale für politische Bildung. Die ersten Initiator*innen waren jedoch hauptsächlich 1975 bis 1985 Geborene. Das Generationsfenster liegt mittlerweile zwischen 1965 und 2000, je nach Interessenlage.

Wurden einerseits Werke von Künstler*innen gern zum Zweck der Illustration dieser Initiativen eingebunden oder gar in Auftrag gegeben, entwickelten Künstler*innen und Kurator*innen andererseits inhaltlich verwandte Sujets. Bereits seit zwei Jahren entdecken Künstler*innen die Stasi-Akten als Dokumentationsmaterialien neu, führen Zeitzeugenbefragungen von Künstler*innen durch und entwickeln so neue Archivkörper, die über Rekonstruktion und Re-enactment hinauswuchern.

Zu beobachten bleibt die alte Transportschiene Faschismus / Neofaschismus und die ebenfalls bewusst initiierte Bewegung des Postsozialismus, die beide einen Austritt aus der Vorstellung vom Streit der Bilder hin zu neuen künstlerischen Methoden und Debatten beschränken könnten. Auch der alte Vorwurf, Kunst sei Simulation, und die neueste Forderung nach nachhaltiger Kunst lässt eine erneute Funktionalisierung der Künstler*innen, ihrer Methoden und Werke zu.

Das Ausgetauschte, Weggeworfene (und damit auch Beweismittel einer bemühten Adaption) wird als zeichenhaftes Gegenmittel hervorgeholt und als Knieschüsse verteilt in eine erneute Zirkulation gebracht. Mundgerecht nach 30 Jahren und mit tagespolitischen Ereignissen als Zutaten gewürzt, finden diese Kunstinjektionen plötzlich Eingang in zuvor sich verweigernde institutionelle Schauplätze der Kunst.

Diese neue Eintracht wirkt wie ein neues Gleitmittel auf dem bis dahin angenommenen rutschfesten und dauerversiegelten Boden.

(*2)
Selbst als Austragungsort: Für die “individuelle Weiterbildung” reichte es aus, sich “in Situation zu begeben”. Aus dem “falschen” Feld (wilder, kranker O.?) ins “richtige” – gen West (urbaner, zivilisierter W.?) und dabei sich selbst als Austragungsort zu begreifen. Mit dem Klischee eines unaufgeklärten Kindes behaftet, begegnete man freundlichen Repräsentant*innen, die lehrmeisterliche Obhut offerierten und eine sie bestätigende Reflexion erwarteten.

Im Büro einer Anwaltskanzlei, schwarzes eckiges Geschirr, darauf Bonbons mit der Aufschrift ‘Recht und Sympathisch’, in der Mitte ein Revolver. Um den Tisch: Eine Anwältin in schwarzer Uniform, ein Angestellter des Kulturamtes, ebenfalls in Uniform, formulieren ihre Bedingungen zum Einsatz einer Signalwaffe. Dazu zählt die Einführung meiner Person an der Waffe verbunden mit einem Schießtraining in einem Waffenclub einer Security-Firma mit Verbindung zur Bundeswehr, die unproblematisch sämtliche Genehmigungen für das Schießen im Öffentlichen Raum Hannover (2009) auftreiben wird. Zuvor Zwischenstopp in einer Wohnung mit unzähligen Plüschkamelen, die eingeklemmt in Türen vor dem Eingang zum Keller patrouillieren, der ausgestattet ist mit einem Munitionslager und Hülsen – einem Füllautomat, der die Kosten für Patronen niedrig hält. Auf meine Nachfragen zur Legalität und zum Umfang dieser Strukturen werde ich daran erinnert, aus den “neuen Ostgebieten” zu stammen und aufgefordert, mich entsprechend zu benehmen.

Schützenverein, Burschenschaft, Bruderschaft, Fußball… -Mönchengladbach (2008), höchste Vereinsdichte in Deutschland pro Kopf – ein Meer an Männerbünden. Die Ausgehmeile, eine Kneipenrutsche, endet in einer Bordell-Landschaft. Im Turm-Kopf der Meile mit einem König Gespräche über christliche Werte und Vereinsrecht, praktizierte Ausschlusskriterien für “Fremdsprachler”, Vorstellungen von Individualität, hierarchische Organisation, Abrechnungspraktiken der Finanzen, Auswahl von Zeichengebungen, Selbstbezug Tradition und der Ausschluss von Frauen von machtentscheidenden Vereinsritualen, aber mit der Auflage versehen, in einem überbordenden weißen Rüschenkleid den König bei offiziellen Anlässen zu begleiten. Als regional-wirtschaftliche Bürgermachtzentren durch die Stadt selbst künftigen Investoren feilgeboten und im Regionalblatt überpräsent – der König ist auch der König der Regionalzeitung – summt dieser “Ein Mädchen aus Ostberlin” und gibt sich gerührt durch mein Interesse. Prompt folgt eine Einladung in die VIP-Lounge des Stadions, wo das “Mädchen” den über Kuchenrezepte plaudernden Gattinnen zugeschoben wird. Auf halber Strecke Berg: Einkehr in ein “Abendlokal”, verkürzt durch Rauswurf aufgrund zu lautem Lachens mit einer israelischen Künstlerin (ohne männliche Begleitung und offensichtlich Spaß dabei), die mit einer Geschichte über ihren erst kürzlich inhaftierten Loftnachbarn, einen Sammler – und Kunstmäzen der Stadt Mönchengladbach, dem aktive Mitgliedschaft in einem Pädophilenring unter Nutzung weiterer Sammler-Villen (natürlich ohne ihr Wissen) zur Last gelegt wird, mich entlässt ins Gästestudio.

Auf dem Berg die Abtei mit Wasserspeiern – statt Höllenhunde beuteltragende Frauen in Stein. In unmittelbarer Nachbarschaft ein Kleeblatt, dessen nächstes Innenleben vorbereitet wird für zwei “Schlüsselfiguren am Ende der modernen Avantgarden”. Hinabsteigend findet meine Arbeit ein temporäres und engagiertes Zuhause (Kunstverein). “Das Oben” hält auch eine Rede und betont, wie wichtig “das Unten” für “das Oben” ist und “im Unten” bewege ich meinen Kopf in alle Himmelsrichtungen beim “Ohrschenken” über ihre vorgetragenen Fantasien zu künstlerischen Unfreiheiten im Sozialismus.

Mein Bahncard-Nachbar unterbricht mein Lektorat mit einem Getränk, überreicht mit Nachdruck und einer mit ‘Ring der O’ ausgestatteten Hand und hat Fragen zu meinen Notizen über lineare und dynamische Recherchemethoden und das Prinzip der anfangslosen Gegenwart. Schnell kommen wir auf das Thema der Zeichengrenzen zu sprechen, es folgt die Formalismusdebatte der 1950er Jahre – ihre Auswirkungen und Unterwanderungen in der Kunst durch Symbolcamouflagen, Farbeinsatz als Gesellschaftskritik, die literarische Figur als Quelle für einen hybriden Realismus. Er wünscht sich ein Beispiel. Ich schildere ihm die erst vor wenigen Stunden zuvor erlebte Anfangssequenz einer Anhörung in Münster (2012): Tische zu einem Quadrat arrangiert, mir gegenüber und einen Stuhl zuweisend der Gesprächsleiter in Linie mit weiteren Entscheidungsträgern, gesprächseröffnend mit den Worten: “Willkommen am runden Tisch”.

Ich meine einen Wechsel des Rings an die andere Hand wahrzunehmen, während er sich outet als lehrender Ethnologe im Einsatz für eine Stiftung der Bundesrepublik, Schwerpunkt: Thematisierung und Ausstellung DDR, und fordere ihn auf (diesmal ich mit Nachdruck), Artefakte wie Mehltüte, Erbsenglas, Plaste-Eierbecher und Sprelacart-Schrankwand als Abbildungsformat zu überdenken. Er bietet mir eine Mittäterschaft an, sofort in seinen Privatgemächern, und während ich ihm noch mögliche Darstellungen von “Fremdgesellschaften” außerhalb der Miniaturisierung erläutere, versuche ich mich an die Bedeutung der linken und rechten Hand zu erinnern, was mir nicht gelingt,… ich lehne ab und das Wort KOMPLIZIERT in Lautstärke einer Durchsage erreicht meinen Hinterkopf. Dann camoufliere ich im Öffentlichen Nahverkehr.