Das sind so die Märchen in unserem täglichen Leben – dass es diese Träume noch gibt und die führen uns in eine bessere Zeit, eine bessere Zukunft, in eine bessere Gesellschaft und ein besseres Leben. Das ist immer hinter den sieben Bergen über die sieben Brücken oder nach dem siebenmal Gestorbensein.
Nun eine Ausstellung, die diesen Weg aufzeichnen will, bzw. sich so einen Namen gegeben hat: „Nachwende“, wir erforschen ein Land, das es nicht mehr gibt. Wobei es nicht ganz klar ist ob das Land uns verlassen hat oder wir das Land verlassen haben. Wir sind jedenfalls unterwegs, on the road. Dazwischen. Also doch wie im Märchen und da begegnen uns die Versuchungen in Form von Erinnerungen, die wollen, das wir uns damit auseinandersetzen. Aber wir gehen weiter, es gibt ja die Verheißung. In dem Film „Die unendliche Geschichte“ ist es das Land Phantásien , also das Land unserer Phantasien. Das aber gar nicht real ist, sondern nur durch unsere Phantasie existiert. Wenn wir nicht mehr daran glauben, stürzt es zusammen, verlieren wir den Weg und sind – Verworfene.
Das Land aus dem wir weg sind, hatte übrigens eine Fahne und die war schwarz rot gold und ein Emblem. Ina, meine Freundin sagte: „Es ist doch interessant, das in der Installation anstatt des Emblems eine Figurine im Coca Cola Kostüm steht und uns Einhalt gebietet. Halt, wenn ihr weiter geht – zurück ist nicht – wie es immer in der DDR hieß, wenn die Jugendlichen in das Phantasieland ihrer Musik und Westschokolade und unendlichen Möglichkeiten wollten. Denn wer weiß ob das Land, das da vor uns liegt nicht das Land ist, das wir verlassen haben und wir sind noch im Zwischenraum der Wälder. Oder sind im Kreis gegangen. Darum ist dieses eine Fata Morgana, dieses Land das Deutschland hieß und sich dann in die DDR und BRD aufspaltete und nun wieder vereint, groß und stark ist. Wer könnte das mit allem dunklen, gräulichen schuldbeladenden kapitalistischen ausbeuterischen und großrednerischen Gedanken beladenen, wer könnte dieses Deutschland, das sich hinter dieser schwarz rot goldenem Wand verbirgt, wirklich wollen? Oder lieben?
Darum gibt es dieses Orakel, die riesige Sphinx mit riesigen Flügeln. Sie stellt uns wichtige Fragen, deren Antwort nur sie weiß. Unserer Sphinx genügt die ausgestreckte Hand, die alle Informationen hat. Sie ist nach oben gedreht und zeigt, was alle wollen – haben und empfangen, und gleichzeitig mit ihrer Schattenhand zeigt sie uns den Wolfsmund. Das warnt, das gerade da, wo wir hinwollen wir aufgefressen werden könnten. Wie das in Märchen ja möglich ist.
Vielschichtig ist das Bild, könnte meinen, lieber umdrehen, weggehen, sich der Auseinandersetzung entziehen. Dieses Deutschland wollen wir nicht. Das wollen nur andere, auch dazwischen geratene, Verworfene. So stehen wir vor unserem eigenen Land und die Sphinx hat nämlich noch eine Frage- was ist mit Phantásien . Was ist mit unseren Phantasien. Ich meine jetzt nicht die Banane, das Westauto, den Palmenurlaub. Die richtigen kreativen optimistischen freudvollen lustvollen lachenden Gedanken. Die eigentliche Schöpfungskraft. Denn es ist sicher ein falsches Denken, das ankommen gleich aufhören ist. Vielleicht sollten wir Deutschland einen anderen, dynamischen Namen geben, es mit dem Prozess des Lebens schaffen, wo wir uns entwickeln, bilden und entscheiden können. Nicht so leicht aufgeben – unseren Phantasien materielle Kraft geben.
Als ich vor der Collage von Suse Weber stand, fiel mir natürlich gleich das Römische Korsett auf, das Foto eines Objektes, das ich 1990 aus weggeworfenen leeren Colabüchsen in Erfurts Straßen baute. Die vorher nur gegen teures Westgeld in Intershops gekauft werden konnten. Da kannte ich Andy Warhols Kritik und Gloria der Westkunst nicht, ist aber sicher aus dem gleichen doppelschichtigen Boden von Massenproduktion und Abfall und Sehnsucht entsprungen.
Ich habe es bei den Mode-Objektshows unserer Künstlerinnengruppe oft selber getragen, das Korsett mit meiner Freundin Monique Förster fotografiert zu einer Ikone gemacht. Als ich es 2021 so die 3,40 m hoch sah, dachte ich nach dem ersten erkennenden Schrecken – es hält der Monumentalität stand. Und der Magie der Trägerin auch.
Gabriele Stötzer 07.11.21
Im Zuge der Fallstudie Wessiwerdung war in der Ausstellung Gabriele Stötzers Arbeit “Römisches Korsett” in Form einer von Suse Weber konzipierten Überschreibung der “Nachwende-Klappe” zu sehen. Ein ausgeschnittenes Foto des 1989 geschaffene Kostüms aus Coca-Cola-Dosen überschrieb hier – teilweise – eine auf Paletten geklebte, zerfetzte Deutschland”fahne”. Gabriele Stötzer hat im Nachgang verschiedener Gespräche ihre Gedanken zu der Neuaufführung dieser Arbeit zu folgendem Text formuliert, der so ebenfalls wichtige Ergänzung und Teil unserer Ausstellung geworden ist. Wir danken ihr für die Erlaubnis, den Text hier zu veröffentlichen. Er steht hier auch stellvertretend anstelle einer Dokumentation der Überklebung, die aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist.