Edit: Elske Rosenfeld
Elske: Wir zeigen in der Ausstellung einige der 16mm-Filme, die du in den Jahren vor deiner Ausreise 1989 in Dresden gemacht hast. Du porträtierst dort verschiedene Personen, mit denen du zum Teil später, nach 1990, noch in Kontakt geblieben bist. Kannst du etwas zu der Person sagen, die man in deinem Film Body Building sieht, diesem blonden jungen Typen?
Wolfgang: Die Geschichte von dieser Person ist sehr kurios. Der Typ war, damit er sich über Wasser halten konnte zu DDR-Zeiten in die Partei eingetreten, in die SED, und war da zuständig als Orts-Parteigruppenleiter für die Frauen von der Damentoilette im Bahnhof Dresden-Neustadt zuständig. Das war natürlich auch eine Form des Abduckens in der Gesellschaft. Wir haben nach dem Film nicht ständig Kontakt gehalten, aber ich wusste ungefähr, wo er war, und hab ihn einmal wiedergetroffen – ungefähr fünf, sechs Jahre danach in seinem eigenen Fitness-Raum. Da gab es am Eingang zwei große schwarze Doggen und viele Menschenkinder, die mit ihm trainiert haben. Das war schon eher rechtsradikales Klientel; Dresden ist da sehr spezifisch. Später ist er Leiter des Bordells Laufhaus Hamburg in Dresden geworden.
Elske: Also erst hatte er ein Fitnessstudio und dann ein Bordell?
Wolfgang: Ja, wobei ich nicht weiß, wie es jetzt ist, die letzten 10 Jahre hab ich das nicht weiter verfolgt. Ich kann dir nicht sagen, ob der rechtsradikal ist. Aber es hat auf mich den Anschein gehabt – das Ausstrahlen, die Zeichen, die sie tragen oder die Art und Weise, wie sie reden. Aber mehr kann ich da gar nicht definieren. Deswegen muss man da auch vorsichtig sein. Ob das sehr ostdeutsch ist oder sehr DDR-deutsch oder wie auch immer, weiß ich nicht. Die Schwierigkeit ist, dass man alles über den Haufen wirft: von den Leuten, die Bodybuilding gemacht haben, oder von Leute aus der DDR wurde später vermutet, dass sie eher Tendenzen hatten, Nazis zu werden, aber das hängt mit vielen Facetten zusammen – mit Hilflosigkeit in einer Situation und mit dem, was in der DDR schon die ganze Zeit vorherrschte, diese ganze Rassismus-Formen, die es da gab. Das hat in der fast justiz-freien Zeit nach 1990 dazu geführt, dass die Leute sich so ähnlich wie die Querdenker jetzt gebärdet haben. Dass sie glaubten, sie befinden sich frei von jedem normalen sozialem Verhältnis oder auch Justizraum.
Elske: Das ist eben die Frage, ob man diese Art zum Beispiel seine Männlichkeit zu leben am konkreten historischen Ort der späten DDR festmacht. Es geht mir auch nicht darum, diesen Akt des Bodybuilding zu denunzieren. Was mich interessiert hat, war diese Härte gegen sich selbst, dieses Stählen des eigenen Körpers.
Wolfgang: Es ist ja auch die Suche nach Liebe, also nach Akzeptanz. Die haben ja auch ihre Vorstellungen und Klischeebilder. Ich weiß noch ganz genau, dass sie, als ich mal im Studio war, irgendwelche westliche Zeitschriften da hatten, Health oder so, und da war eben Arnold Schwarzenegger abgebildet. Die haben sich halt ausgetauscht. Im Film gibt es diese Szene, wo er vorm Spiegel steht und sich testet. Das machen die ständig! Sie brauchen etwas, um sich zu reflektieren.
Elske: Das ist halt das Ding beim Bodybuilding. Es heißt ja immer, dass diese Körper eigentlich substanziell eher schwach sind, weil sie nicht die inneren Muskeln trainieren, mit denen man zu Stärke kommt, sondern dass es um ein spezifisches Arbeiten am Aussehen geht. Es ist sehr visuell orientiert.
Wolfgang: Gesundheit ist fast konträr. Aber Bodybuilding zielt ja eher auf die äußere Wirkung. Interessant ist aber, dass sie sich zur DDR-Zeit mühen mussten diese Geräte zu suchen und selbst zusammenzuschweißen, weil es das ja alles nicht gab. Es war in einem gewissen Sinne als falsches ideologisches Bild verboten. Der Protagonist, von dem ich gesprochen habe, war schon fast blind von den Anabolika, die er genommen hat.
Elske: Verrückt. Ich mach das für mein Aussehen, für mein Bild und dann kann ich selbst nichts mehr sehen.
Wolfgang: Die haben das genommen wie Süßigkeiten. Sie haben das auch selber hergestellt, sie hatten Freunde, die Chemiker waren. Sie können sich auch gar nicht mehr richtig bewegen. Über Gesundheit brauchst du da gar nicht mehr reden. Das ist schon irre. Aber wenn du die Person nicht in einer gewissen Form magst oder schätzen kannst mit allen Schwachstellen und negativen Seiten, kannst du keine Filme mit ihnen machen.
Mit dem Protagonisten aus meinem Film Kohlenlothar, über den letzten Dresdner Kohlenausfahrer, war ich auf eine Art befreundet – also in der Form, dass man sich mag und ab und zu sieht. Der hat als Typ immer stark auf seine Männlichkeit gesetzt und hat über Typen wie mich, die ihm zu weich oder zu links waren, geschimpft. Aber er hat anderen Menschen auch geholfen. Der hat, wenn da eine alte Frau war, die nicht mehr konnte, die Kohlen zu ihr hoch getragen oder sie in den Keller gebracht, ohne ein Extra-Entgeld.
Elske: Was war dessen Nachwende-Werdegang?
Wolfgang: Er hat versucht Jobs zu finden, weil der Kohlenhandel zu war. Bei einem Projekt war er als Hausmeister angestellt, die haben Fördergelder bekommen, da hat er als erster eine Visitenkarte bekommen, wo Management drauf stand [lacht].
Er hat dann beim Sicherheitsdienst gearbeitet, da hab ich noch ein Foto, wie er ganz stolz mit Handschellen und seiner Ausrüstung da steht. Irgendwann ist er dann auf Hartz IV gewesen. Da hab ich ihn noch mal getroffen.
Elske: Du hast mir mal erzählt, dass dieser Kohlenträger schwul war. Hat er dir das gesagt oder war dir das eh klar?
Wolfgang: Nein, das war für mich überhaupt nicht klar. Ich habe aber auch nicht darüber nachgedacht, es hat mich nicht interessiert. Ich habe irgendwie seine Adresse bekommen und bin bei ihm vorbeigegangen, da hat er mich eingeladen reinzukommen. Da saß er mit seinem Freund, also mit seinem Partner. Da war ich echt fasziniert. Wie so ein Mensch das die ganze Zeit runterbügelt, salopp gesagt, und immer auf diese klischeehafte, harte Form der Männlichkeit pocht. Ich fand das toll und war irgendwie glücklich für ihn. Kurz darauf ist er gestorben. Das war komisch, er rief mich kurz vor Weihnachten an und wollte mich unbedingt sehen. Aber ich war gerade in Mexiko und erst im Februar zur Berlinale wieder in Berlin. Es hat mich irritiert, warum das so wichtig für ihn war, dass wir uns sehen. Kurz nachdem wir uns gesprochen hatten, ist er gestorben. Für ihn muss es so ein Gefühl gewesen sein, dass er noch etwas erzählen wollte.
Elske: In deinem Film David, zeigst du einen Jungen dessen Familie auf gepackten Koffern sitzt um in den Westen auszureisen. Dieses Video zeigen wir in unserer Fallstudie „Wessiwerdung“, wo es unter anderem darum geht, mit welchen Erwartungen Ostdeutsche dem Westen begegnet sind. Bei denen, die vor dem November 1989 ausgereist sind, fand dieser Prozess individuell statt, vereinzelt, die anderen DDR-Bürgerinnen erlebten dass dann während der Wende en masse – gemeinsam aber darin trotzdem vereinzelt. Den Jungen in Dresden hast du kurz vor seiner Ausreise 1988 gefragt, was er sich vom Westen erwartet.
Wolfgang: Ja, es ist die Geschichte von dem Jungen drei Tage vor der Ausreise. Er war der Sohn von einer Handwerker-Familie, die in diesem Haus in Kleinzschachwitz, direkt gegenüber vom Pillnitzer Schloss, gewohnt hat. Die hatten schon über Jahre diesen Ausreiseantrag laufen. Viele wurden ja schikaniert, sie mussten alles vorbereiten mit Nummern am Umzugsgut und dann kriegten sie die Nachricht, das sie ausreisen dürfen. Es war ein bisschen unterschiedlich von Person zu Person oder Familie. Manche wurden so schikaniert, dass sie innerhalb von 24 Stunden rausmussten. Und das musst du erst man schaffen, vor allem wenn du noch Familie hast. Die kriegen früh die Mitteilung, rasen in die Schule, holen das Kind aus der Klasse und so weiter. Diese Familie kriegte drei Tage. Weil die DDR eine Diktatur und eine geschlossene Gesellschaft war, hast du zwar Informationen übers Fernsehen oder Zeitschriften oder von Leuten, die reisen durften, über den Westen gehabt, aber das waren wie Nachricht aus einem utopischen Land. Der westliche Teil Deutschlands war ja genauso wie Honolulu. In dem Sinne ist so ein Umzug natürlich absurd und umso mehr für ein Kind. Das war für mich interessant, den nochmal zu fragen oder zu erleben, wie es ihm ging.
Elske: Hast du ihn auch später nochmal aufgesucht?
Wolfgang: Ja, es gab die Idee nochmal ein Porträt über ihn zu machen. Ich bin mit den Eltern in Kontakt geblieben, die wohnen in der Nähe von Stuttgart. Der Vater hat eine neue Werkstatt eröffnet und der Junge hat studiert. Im Moment weiß ich nicht, wo er sich befindet, aber ich habe seine Kontaktdaten. Die Eltern haben mir auch Bilder von ihm geschickt.
Elske: Du hast ab 1990 relativ viele Filme über Ostthemen gemacht bzw. mit Leuten wie Fine Kwiatkowski weiter gearbeitet. Wie würdest du deine Arbeit vor und nach der Ausreise beschreiben, sowohl was die Personen betrifft, mit denen du gearbeitet hast, als auch die Themen, die Technik und die formellen Interessen? Gab’s da einen Bruch oder war das für dich eher eine Kontinuität?
Wolfgang: Das war ein totaler Bruch, wobei das sehr auf die Perspektive ankommt. Am Anfang hatte ich schon Schwierigkeiten anzukommen, aber ich hatte relativ schnell eine sehr gute Arbeit als Art-Director in einer Grafik-Firma. Durch dieses Geld konnte ich weiterarbeiten, wobei ich 1990 erst mal nichts in der DDR gedreht habe. Es war ein Glücksumstand, dass ich relativ schnell Kontakt zum Fernsehen bekam und dass ich da sehr gute Möglichkeiten hatte, freie Entscheidung zu treffen. Bei den Porträts und der Literaturkritik hab ich natürlich mehr gewusst und bin besser reingekommen. Ich habe beim Bayerischen Rundfunk oft Projekte vorgeschlagen, die die Nachwendezeit und die ehemalige DDR betrafen. In der ARD war die Zuständigkeit für den “Osten”, bevor der MDR und der RBB gegründet wurden, noch relativ gemischt. Es gab spezielle Studios, zum Beispiel ein ZDF-Studio in Dresden, für die ich dann auch was gemacht habe.
Elske: Für den MDR hast du dann eine Reihe Filme über ostdeutsche Theater gemacht.
Wolfgang: Ja, diese Theaterfilme waren ein Angebot vom MDR. Da wurde ich aber vorher abgecheckt. Du darfst nicht vergessen, dass da viele DDR-Leute gearbeitet haben. Die Chefs in der Redaktion waren oft Westdeutsche, zum Beispiel war der MDR Programmdirektor vorher Assistent an der Filmhochschule in München. Aber die meisten, die auf den unteren Ebenen in den Redaktionen gearbeitet haben, waren ehemalige DEFA-Leute und so weiter. Die waren natürlich darauf bedacht, dass du lieb über die DDR sprichst.
Elske: Konntest du das dadurch, dass du etwas über kulturelle Einrichtungen gemacht hast, ein bisschen umschiffen?
Wolfgang: Das ist schwierig, das so in Kürze zu sagen. Bei diesen Projekten geht es ja nicht um gut oder böse. Dennoch war es eine heikle Angelegenheit. Am Theater Chemnitz hatte ich danach Betretungsverbot.
Elske: Warum?
Wolfgang: Weil ihnen nicht gefallen hat, was ich gemacht habe. Obwohl mich am meisten interessiert hat, eine schöne Geschichte zu machen, hatte ich einige kritische Teile in dem Film, was eigentlich ganz normal ist – wenn du ein schlechtes Stück siehst, dann ist es ein schlechtes Stück – aber unter DDR-Bedingungen hatte es das halt nicht gegeben.
Elske: Und war das Theater sauer oder der MDR?
Wolfgang: Es waren die Theaterleute, die mir das krumm genommen haben. In diesem Fall war es die Intendanz, die hat dann ihre Pressesprecherin rausgeschmissen. Die Idee der Theater-Serie ist an mich vom MDR herangetragen worden.Die Idee war, dass man zu jedem wichtigen Theater ein Porträt macht.
Elske: Welche Theater waren das?
Wolfgang: Magdeburg, Chemnitz und Meiningen, wobei das Honorar lächerlich war. Aber das war mir relativ egal, weil ich die Möglichkeit hatte unter guten Bedingungen Filme mit vielen Freiheiten zu machen.Der MDR zum Beispiel hatte sich von dem Geld, das er zur Verfügung gekriegt hat, ein High End digitales Studio eingerichtet. Normalerweise macht man dort nur die finale Zusammenstellung, ist also maximal einen Tag da drin, weil es viel zu teuer ist, aber ich habe da fast 14 Tage geschnitten. Diese Bedingungen waren ein Traum. Es gab die Freiheit, zu machen, was ich wollte und innerhalb einer Stunde was zu erzählen, was du eigentlich sonst in einer halben oder dreiviertel Stunde so nicht machen kannst. Die Filme, die ich dort gemacht habe, waren aber dokumentarisch, da ging es nicht so sehr darum journalistisch auszuloten, wie die Theater den Systemwechsel erlebt haben.
Juli 2021 (Transkription: Anna-Lena Wenzel)